Wasseraufnahme entlang von Haarrissen in einem Außenputz

von | 30. Sep. 2013 | Außenputz und Beschichtungen, Beispielfälle, Fassaden, Niederschlag, Tauwasser / Kondensat, Thermographie

Im Rahmen einer Untersuchung von Fassadenschäden ergab sich folgende Aufgabenstellung:

1. Sachverhalt

Bei der Sanierung eines Flugplatzgebäudes werden u.a. große Teile der geputzten Fassadenflächen mit einem neuen Anstrich versehen.

In den darauffolgenden Monaten zeichnen sich, bei bestimmten feuchten Witterungsverhältnissen, Haarrisse und fleckige Strukturen in großen Teilflächen der neu gestrichenen Fassaden ab, insbesondere auf der nach Westen orientierten Fassade. Der Sachverhalt wird vom Eigentümer des Gebäudes als Mangel des neuen Anstriches gerügt. Dies sei so, vor Herstellung des neuen Anstriches, am ungestrichenen Putz nicht beobachtet worden.

Der Sachverständige (SV) soll die Ursachen für die Risse und für das fleckige Erscheinungsbild von gestrichenen Fassaden feststellen und prüfen, ob Mängel in der Leistung der Malerfirma vorliegen.

2. Feststellungen

2.1 Bau-SOLL zur Herstellung des Anstriches

Gemäß Auftrag schuldet der NU für den Fassadenanstrich folgende Leistungen:

  • Vorbereitung des Untergrundes durch Reinigung mit Hochdruckreiniger
  • Zwischenbeschichtung
  • Schlussbeschichtung

Der NU verwendet als Fassadenfarbe eine Silikonharzfarbe.

Gemäß Technischem Merkblatt handelt es sich um eine silikonharzmodifizierte Beschichtung mit Eignung für mineralische Untergründe. Folgende wesentliche Eigenschaften weist die Beschichtung auf: hoch diffusionsfähig, schlagregendicht, leicht füllend, spannungsarm. Die Beschichtungen sind wie folgt auszuführen:

  • Zwischenbeschichtung: bis zu 5% wasserverdünnt
  • Schlussbeschichtung: unverdünnt oder gering wasserverdünnt

2.2 Schadensbild

Alle untersuchten Fassaden weisen im oberseitigen Farbbelag Haarrisse mit netzartigem Verlauf auf. Es werden Rissbreiten zwischen 0,05 mm und 0,1 mm gemessen. Auf der Westseite erscheinen die Rissbreiten, aufgrund von Verschmutzung der Rissflanken, optisch breiter, als sie es tatsächlich sind.

Die ausgeführte Beschichtung ist sehr hell (nahe Weiß) und zeigt in den untersuchten Bereichen keine Ablösungen durch Störungen im Haftverbund.

haarrisse_putz_01
Foto 1: Rissbild im Putz nach Beaufschlagung mit Feuchtigkeit
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Hinweis: das Rissbild ist auf dem Foto 1 durch Kontrastanhebung (Bildbearbeitung) besser sichtbar als im Realzustand vor Ort.

Folgende Sachverhalte sind am Schadensbild feststellbar:

  • die Risse verlaufen netzartig und bilden unregelmäßige, schollenartige Flächen
  • der Verlauf folgt im Wesentlichen nicht dem Fugenbild des Untergrundes (Mauerwerk)
  • Oberflächenfeuchtigkeit auf der Fassadenfarbe läuft nach unten bis zum jeweils nächsten Riss, im Wesentlichen jedoch nicht weiter über diesen hinaus

2.3 Thermographie

Das folgende Foto 2 zeigt eine thermographische Aufnahme eines Fassadenabschnittes, überlagert mit dem dazugehörigen Echtbild, welches den Rissverlauf erkennen lässt. Die Aufnahmen entstehen im Dezember, bei besonnter Fassade. Am Vortag wird die Fassade durch Niederschlag beaufschlagt.

Interpretation des Thermogramms:

  • gelbe bis rötliche Bereiche kennzeichnen wärme Stellen
  • blaue bis violette Bereiche kennzeichnen kältere Stellen

Hinweis: das Rissbild ist auf dem Foto 2 durch Kontrastanhebung (Bildbearbeitung) besser sichtbar als im Realzustand vor Ort.

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Foto 2: Überlagerung eines Echtbildes der Risse mit einem Thermogramm
zum Vergrößern bitte anklicken

Folgende Sachverhalte sind auf Foto 2 ablesbar:

  • die warmen Stellen befinden sich im inneren, zentralen Bereich der schollenartig gerissenen Flächen
  • die kalten Stellen befinden sich entlang der Risse

Bei den gegebenen Randbedingungen zeigt das Thermogramm, dass im Bereich der Risse und in deren unmittelbarer Umgebung der Putz feuchter ist, als in den zentralen Bereichen der schollenartigen Flächen. Dies bedeutet, dass die Risse Wasser aufnehmen und sich dadurch inhomogene Feuchtigkeitsverteilungen im Putz bilden.

2.4 Feststellungen am Putzaufbau

Der SV stellt vor Ort weiterhin folgende Sachverhalte fest:

  • Netzartige Haarrisse befinden sich vollflächig an allen Fassaden, auch an den nach Süden orientierten Fassaden.
  • Bei den Rissen handelt es sich um querschnittstrennende Risse innerhalb der Putzebene, d.h., die Risse reichen von der Putzoberfläche (mit Anstrich) bis zum Putzgrund (Mauerwerk)

3. Bewertungen

3.1 Herkunft der Haarrisse im Putz

Die netzartigen Haarrisse sind bereits vor Herstellung des neuen Anstriches vorhanden. Dies ergibt sich aus der Feststellung, dass es sich um querschnittstrennende Risse innerhalb der Putzebene handelt.

Auszuschließen ist, dass die netzartigen Haarrisse durch den neu hergestellten Fassadenanstrich entstanden sind. Begründung:

  • Die Fassadenfarbe ist keine Schicht, welche, durch die Kombination von Schwinden und Haftverbund mit dem Untergrund, Zugspannungen in der Putzebene verursachen und damit zu den festgestellten Rissen führen kann.
  • Der Hellbezugswert der ausgeführten Fassadenfarbe liegt weit im sicheren Bereich, weshalb auch thermische Spannungen in der Putzebene als mögliche Ursache für die Haarrisse aus-scheiden.

Die Ermittlung der Ursachen für die netzartigen Haarrisse in der Putzebene zählt nicht zur Aufgabenstellung des SV. Folgende Ursachen sind dafür jedoch im Einzelnen oder in Kombination regelmäßig zutreffend:

  • mangelhafte Vorbehandlung des Putzgrundes (Mauerwerk) unmittelbar vor dem Aufbringen des Putzes
  • ungeeignete Abstufung der Putzfestigkeit innerhalb der Putzebene, mit fehlendem Festigkeitsgefälle
  • zu hoher Anteil mineralischer Bindemittel, mit der Folge eines erhöhten Schwindens

Haarrisse mit den vor Ort festgestellten Rissbreiten sind in einem offenporigen Putz durch visuelle Betrachtung aus üblichem Abstand, ohne genaue makroskopische Untersuchung, nicht auffällig und nur für das geübte Auge sichtbar.

3.2 Herkunft der Haarrisse im neuen Fassadenanstrich

Die Haarrisse im Fassadenanstrich sind auf Quell- und Schwindbewegungen des Putzes zurückzuführen, in Abhängigkeit von dessen Zusammensetzung und dessen Ausgleichsfeuchtigkeit.

Quellen und Schwinden verstärken sich insbesondere dann, wenn ein hoher Anteil mineralischer Bindemittel im Putz vorliegt. Es handelt sich um Bewegungen im mikroskopischen Bereich, welche zyklisch wiederkehrend auftreten. Das bedeutet, dass es nicht zu einem Abklingen dieser Bewegungen über eine längere Zeitdauer kommt. Vereinfacht lässt sich dies so vorstellen, dass sich die Haarrisse im Putz beim Abtrocknen der ungerissenen Flächen etwas öffnen, und bei zunehmender Durchfeuchtung dieser Flächen wieder etwas schließen.

Die Beanspruchung einer Farbbeschichtung durch diese Bewegungen entlang der Haarrisse ist dynamisch. Dem halten auch hochwertige Fassadenfarben auf Dauer nicht stand, weshalb sich Risse aus der Putzebene dann bis in die Beschichtungsebene übertragen.

3.3 Entstehung des fleckigen Erscheinungsbildes

Das fleckige Erscheinungsbild an den Fassaden entsteht nach Einwirkung von Niederschlägen oder nach Bildung von Oberflächenfeuchtigkeit auf der Fassade, unter Mitwirkung der netzartigen Haarrisse.

Es ergibt sich die Frage, warum die Fleckenbildung vor Herstellung des neuen Fassadenanstriches so nicht feststellbar gewesen sei. Dem SV stellt sich dieser Sachverhalt dar wie folgt:

Vor Sanierung der Fassadenflächen mit dem neuen Anstrich weist der Putz einen weitgehend offenporigen Anstrich auf. Dieser Anstrich aus Bestand ermöglicht das Eindringen von Niederschlagswasser oder Oberflächenkondensat mehr oder weniger gleichmäßig in das Putzgefüge. Die im Putz vorhandenen Haarrisse unterliegen dabei keiner überdurchschnittlich hohen Wasseraufnahme, wodurch sich auch keine optisch bessere Wahrnehmung der Risse einstellt. Die saugende Wirkung der Risse verliert sich in dem großflächig offenporigen Putzgefüge.

Die Herstellung des neuen Fassadenanstriches verändert diese Eigenschaften der Fassadenoberfläche. Bei der neuen Farbe handelt es sich um eine Beschichtung, welche die Porenstruktur des Putzes an dessen Oberfläche nahezu vollständig verschließt (Schlagregenschutz), jedoch Dampfdiffusion ermöglicht (Wasserdampfpartialdruckausgleich). Niederschlagswasser und Oberflächenkondensat können daher nicht mehr gleichmäßig in den Putz eindringen, sondern laufen im Wesentlichen an der Oberfläche der Beschichtung ab, bis zum jeweils nächsten Riss. Die Risse selbst ermöglichen dann den Eintritt des Wassers bis in das Putzgefüge.

Nebeneffekt dieses Vorganges ist einerseits, dass die Flanken von stärker durch Feuchtigkeit beaufschlagten Rissen schneller verschmutzen.

Andererseits führt das stete Eindringen von Wasser im Zuge von Frost-Tau-Wechsel über längere Dauer dazu, dass sich durch kleinste Ausbrüche und Abplatzungen im makroskopischen Bereich die Rissflanken mit der Zeit aufweiten, wodurch sich wiederum die Wasseraufnahme der betroffenen Risse weiter erhöht.

3.4 Folgeschäden

Die Verschmutzungen der Rissflanken führen zunächst dazu, dass die Haarrisse deutlicher sichtbar werden (optische Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes) und Wasser im Bereich der Risse besser anhaften kann.

Wiederholte Frost-Tau-Wechsel über längere Zeit führen zu einer tatsächlichen Aufweitung der Haarrisse.

Betroffen sind durch diese Effekte überwiegend die stark bewitterten Fassadenflächen, im vorliegenden Fall die nach Westen orientierten Fassaden.

H. Pfeifer, Dipl.-Wirtsch.-Ing. / Bau
SV für Schäden an Gebäuden / Bauphysik

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